»Wir saßen da und haben es einfach probiert« (Anni Albers) – Ein Gedankenexkurs zu den Bauhausfrauen einst und jetzt von Ulrike Müller

In Erfurt hat am 18. April 2019 in der Kunsthalle die Ausstellung »Bauhausfrauen« eröffnet, die dreißig künstlerische Positionen von weiblichen Lehrenden und Absolventinnen der Bauhaus-Universität Weimar zeigt. Doch wie steht es um die »Bauhausfrauen« an der heutigen Universität im Vergleich zum historischen Bauhaus? Autorin Ulrike Müller hat sich darüber Gedanken gemacht – ihren Artikel finden Sie hier.

 

 

»Wir saßen da und haben es einfach probiert« (Anni Albers)

Ein Gedankenexkurs zu den Bauhausfrauen einst und jetzt von Ulrike Müller

I. Weibliche Moderne

Das 100jährige Jubiläum des Bauhauses lädt zu Perspektivwechseln ein. Und da die der Schule und die Bauhausfrauen zur kulturhistorischen Epoche und Bewegung der Moderne im 20. Jahrhundert gehören, lädt es auch dazu ein, die Moderne in einem differenzierteren Licht zu betrachten. Moderne, von lat.: »modo«, meint neue Zeit, Bruch mit dem Alten: Konventionen, Machtverhältnissen, Menschenbildern, Rollen. Die Gesellschaft gerät in Bewegung, oppositioneller Geist, neue Werte geben den Ton an, Bilder, Utopien vom besseren Leben werden entworfen – in Kunst, Politik Wissenschaften, Alltagskultur, der Mode. Als erste Moderne der Geschichte gilt die frühe Neuzeit, als zweite die Aufklärung. In der Moderne des 20. Jahrhunderts entwickelten neue Frauen wie die am Staatlichen Bauhaus Weimar unter den Voraussetzungen ihrer bisherigen Sozialisation und Geschichte andere Visionen von Kunst und Leben als ihre Zeitgenossen; daher spreche ich von einer weiblichen Moderne. Im Vergleich historischer Utopien seit der frühen Neuzeit (z. B. Christine de Pizan: »Das Buch von der Stadt der Frauen«) assoziieren Frauen Fortschritt und »neue Zeit« primär mit Emanzipation, schöpferischem Tun, sozialem Miteinander, Männer mit Dominanz, unsterblichen Werken und wissenschaftlichem Fortschritt (z. B. Francis Bacon: »Das neue Atlantis«). Bauhauskünstlerinnen wie Anni Albers, Lucia Moholy, Friedl Dicker oder Alma Buscher kommen mir, bei allen individuellen Unterschieden, aktuell moderner: beweglicher, radikal neuer, zukunftsfähiger vor als die Mehrzahl ihrer berühmten Lehrer und Mitschüler, die, bei allem revolutionären Pathos, allen Ideen, künstlerischen und technischen Neuerungen, den neuen Menschen weiter als männlichen »Kultur-Träger« und männliches Genie entwarfen.

II. Historischer Neubeginn der Bauhausfrauen

Mit den 84 jungen Frauen, die 1919 mit der Ausbildung am Bauhaus anfingen, saßen im selben Jahr, nur ein paar Straßen weiter, 37 Frauen in der Nationalversammlung der Weimarer Republik, die zum ersten Mal in Deutschland als Abgeordnete demokratisch ins Parlament gewählt worden waren. Für die Bauhaus-Schülerinnen trifft der gewaltige Sprung von brüderlicher Freiheit und Gleichheit ohne Schwestern 1789 bis zum Wahlrecht für Frauen nach dem verheerenden 1. Weltkrieg 1919 im historischen Moment seiner Landung auf ein experimentelles Schulkonzept mit der Verheißung künstlerischer Förderung und eines Berufsabschlusses für Männer  u n d  Frauen. Die Entschlossenheit der begabten, meist schon künstlerisch vorgebildeten, im Krieg früh erwachsen gewordenen Frauen, unhaltbare Zustände hinter sich zu lassen und das Bauhaus als Chance für einen Neuanfang zu nutzen, setzte meines Erachtens einen Kreativitätsschub frei, dessen Wirkung bis heute kaum zu überschätzen ist.

III. Neue Wege und alte Muster am Bauhaus

Auch wenn ihre Geschlechterbilder sich nicht von heute auf morgen änderten: In der Kunst und im Leben entwarfen sich viele Bauhausschülerinnen neu. Die Widerstände der Meister gegen Frauen in traditionell männlichen Werkstätten und als eigenständige Künstlerinnen an der Schule hielten sie letztlich nicht auf. Frauen wie Marianne Brandt, Lou Scheper, Vera Meyer-Waldeck erkämpften sich dennoch Plätze in Werkstätten ihrer Wahl, realisierten als Gestalterinnen die weibliche Moderne in Handwerk, Industriedesign, Architektur. Andere hochbegabte Frauen wie Gertrud Arndt oder Anni Albers wurden in Weimar zwar in die zur Frauenklasse erklärte Weberei abgedrängt, revolutionierten aber in dieser Gemeinschaft grundlegend den Textilbereich.

Zur Auseinandersetzung mit dem Verschwinden der weiblichen Moderne und der Bauhausfrauen gehört neben der kapitalismuskritischen Reflexion von Begriffen wie Avantgarde, Innovation, Fortschritt, die Erkenntnis einer doppelten Diskriminierung der Frauen: erst während ihrer Zeit an der Schule, dann durch einseitige Rezeption des Bauhauses und der Moderne. Dass sie sich mit ihrer Unterminierung männlichen Konkurrenzdenkens durch einen ausgeprägten Sinn für Kooperation und Gemeinschaft in Verbindung mit Reformpädagogik wie z. B. im Konzept von Gertrud Grunow (1924 entlassen) oder im egalitären Unterricht der einzigen Bauhausmeisterin Gunta Stölzl (weggemobbt 1931) am Ende nicht durchsetzen konnten, beweist die Kontinuität patriarchaler Herrschaftsmuster auch an einer so modernen Schule. Mit der Neuorientierung des Bauhauses zum Labor für die Entwicklung industrieller Prototypen und zur Architekturschule nahm die Anzahl der Frauen dort stetig ab. Die lange Fixierung der Rezeption auf Meister und Meisterwerke schließlich, weg vom Prozess- und Versuchscharakter der Schule, dazu die falsche Gleichung von Bauhaus = Architektur und in dieser noch die partielle Einengung auf eine planquadratisch-entmenschlichende Einheitsbauweise in Ost wie West, hat das Verständnis der Moderne und den Blick auf das Bauhaus lange Zeit buchstäblich verbaut.

IV. Stellen Sie sich vor, Sie bewerben sich an der Bauhaus-Universität Weimar...

hochmotiviert für die Fakultät Bauingenieurwesen, werden zunächst aufgenommen, dann aber nach dem Einführungssemester mit der Begründung, es gäbe nicht genügend Praktikumsplätze und die vorhandenen würden an männliche Studierende vergeben, in den Bereich Kunsterziehung verschoben. Begründung: Weibliche Studierende brächen das Studium laut Statistik häufiger ab, was nach Resultaten neuester Hirnforschung auf eine angeborene weibliche Schwäche im Abstraktionsvermögen zurückzuführen sei und mit Leistungsdefiziten in den Bereichen Physik, Mathematik, Informatik einherginge. Da Frauen aber auf der anderen Seite (wie bereits von Rousseau festgestellt) traditionell die natürlichen Erzieherinnen der Kinder seien und (wie Ernst Bloch bestätige) primär in Innenräumen und im Kleinen am kreativsten würden, ferner, um dem Lehrkräftemangel abzuhelfen, würde der ohnehin von Frauen dominierte Bereich Kunsterziehung an dieser Universität ab sofort als separate Frauenklasse geführt. Ein neuer Studienabschluss nach sechs Semestern sei in Vorbereitung … Undenkbares Szenario? Zugegeben, etwas konstruiert, um Ihnen eine Ahnung davon zu vermitteln, was die Schülerinnen trotz Gropius‘ Verheißung: »aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht«, erlebten, als sie am Bauhaus anfingen. Es basierte auf antiquierten Geschlechterbildern der Meister (wie dem von Itten, Frauen sollten lieber in der Fläche arbeiten, da sie nur zweidimensional denken könnten). Weibliche Lehrkräfte wurden am Bauhaus in den wenigen Leitungspositionen stets schlechter bezahlt als männliche. Heute gibt es Gleichstellungsrichtlinien, engagierte Beauftragte, Gender-Projekte. Aber so viele Professorinnen, wie es jetzt Ministerinnen in Äthiopien gibt, lehren nicht an deutschen Hochschulen, auch nicht an der Bauhaus-Universität Weimar: 50 Prozent.

V. Bauhausfrauen zum Jubiläum im Freien verfrühstückt?

Immerhin organisieren sich Frauen, ausgehend von den USA, seit 2017 verstärkt in der »Metoo«-Bewegung, demonstrierten seit Oktober 2018 tausende »Nous-Toutes« – Streiterinnen und Streiter gegen sexuelle Gewalt und forderten Gerechtigkeit für Frauen vor allem im Berufsleben. Im Zuge des Jubiläums 2019 gibt es ein rasant gewachsenes öffentliches Interesse an den Frauen des Bauhauses – Zeichen eines tatsächlichen Bewusstseinswandels? Vielleicht entspringt die Beschäftigung mit ihnen neben der Suche nach Vermarktungsobjekten und Projektionsflächen dem Durst einer im Überfluss gähnenden und zugleich Armut, Ängste, Hass und Gewalt produzierenden, überhitzten Hochkultur nach ihrer verlorenen Unmittelbarkeit, Unverbrauchtheit, Leidenschaftlichkeit? Denkmäler bröckeln, auf Großleinwand projizierte Meisterwerke verblassen im Freien, Jahrzehnte bewährter Blockbuster-Politik der Kulturbetriebe verebben im Generationswechsel. Die Moderne ist womöglich nicht mehr modern genug; längst wurde für alle Fälle die Postmoderne erfunden – die sich auch als philosophisch bemäntelter Gähnreflex auf das utopiegereinigte patriarchale Auslaufmodell der Moderne lesen lässt. Kunst, Museen und Medien bedürfen wohl dringend einer Frischzellenkur, und da kommen die Bauhausfrauen als alte neue Trümmerfrauen gerade recht.

Zum Glück lehrt die Erfahrung, dass auch mäßige Lauterkeit der Motive positive Ergebnisse zeitigen kann: So vermittelt Theresia Enzensberger in ihrem Debütroman »Blaupause« mit unbekümmert sparsam aufgetragenem Tiefsinn immerhin die bestehende Kontinuität von Frauendiskriminierung, wird die feministische Bauhaus-Forscherin Anja Baumhoff nach 20 Jahren endlich als Expertin zu TV-Interviews geladen, stehen vergessene Künstlerinnen nun im Fokus neuer Forschungsprojekte (vgl.www.gertrud-grunow.de), Ausstellungen, Pressebeiträge, Interviews, kritischer Dokus und sogar Spielfilme. Aber was wird da gespielt? In der geplanten TV-Reihe von CONSTANTIN Film fürs ZDF und arte wird Dörte Helm eine Affäre mit Gropius angehängt; schon Werkmeister Carl Schlemmer erfand in Weimar die falsche Love-Story, als er die Schülerin nicht erobern konnte; Regisseur Lars Kraume nutzt sie weiter, wohl, um mit postfaktischer Übergriffigkeit mehr Publikum zu erobern. Die Künstlerin Dörte Helm hat mehr ernsthafte Aufmerksamkeit verdient und ihre noch lebende Tochter mehr Rücksicht.

VI. Bauhausfrauen – hundert Jahre neu

Es gibt im Leben keine Wiederholung, es gibt nur das Beharren, sagte schon Gertrude Stein, die für die literarischen Moderne als Meisterin der Langsamkeit das filmische Mittel der Zeitlupe in die Sprache brachte. Ich denke, es ist noch längst nicht alles entdeckt, erprobt, ausgeschöpft, zu Ende gedacht, was in der kurzen Spanne der Moderne zwischen den zwei Weltkriegen entwickelt, geschaffen, in die Welt geworfen wurde. Und ich bin sicher, es lohnt sich, die Angebote weiblicher Ästhetik und Pädagogik am historischen Bauhaus neu wahrzunehmen, als Kunst und zugleich vielseitigen Antwortversuch auf inhumane gesellschaftliche Zustände, die in der aktuellen Ich-bin-der-Beste-Größte-Schnellste-Reichste-Originellste-Show mindestens so bedrängend sind wie damals. Es lohnt sich, immer wieder anzufangen mit dem Neuen Sehen, anstatt mit Eye am Phone im utopiegereinigten Originalfreischwinger die Moderne zu verschaukeln. Vielleicht gelingen ein paar Augenblicke echter Anrührung durch Künstlerinnen, Gestalterinnen und Lehrerinnen des Bauhauses, ihre Versuche und Selbstversuche, Werke und Bewegungen zwischen Aufbruch, Erfolg und Verfolgung, Ermordung oder Exil, Neubeginn. Sie sollen nicht heilig gesprochen werden, aber die ihnen längst gebührende Würdigung erhalten. Einige von ihnen würden von den Studentinnen heute womöglich wissen wollen, ob es an der Bauhaus-Uni inzwischen Frauen gibt, die sich für Genies halten.